Die Situation in Afghanistan

Die letzten zwei Wochen habe ich die Ereignisse in Afghanistan besonders mitverfolgt.

Als ich mitbekam, dass die Stadt Sarandsch eingenommen wurde, hat mich dies sehr bewegt, da ich dort den Großteil meiner Zeit als Entwicklungshelfer in Afghanistan in 2010 verbracht habe.

Gleichzeitig war für mich dann in diesem Moment auch klar, dass das Land von den Taliban erobert werden wird, wenn keine massive Intervention von außen kommt. Dies liegt an den strategischen Gegebenheiten. Die Geschwindigkeit hat mich aber sehr überrascht, genauso wie wohl alle Geheimdienste der westlichen Welt. Deswegen finde ich hier Schuldzuweisungen gegen den Minister unredlich. Kritisch hinterfrage ich aber die Geheimdienste und militärischen Analysten, die diese Entwicklung wohl nicht einmal in Betracht gezogen haben.

Kurzfristig müssen wir unserer Verantwortung gerecht werden und in diesem Chaos zumindest die Menschenleben retten, die ihres für uns riskiert haben in dem sie für Deutschland gearbeitet haben. Auch Baden-Württemberg muss hier seinen Beitrag leisten.

Große Sorgen habe ich bezüglich des mittelfristigen Szenarios in der Region. Auch wenn die Taliban sich im Moment etwas „gemäßigt zeigen“, wird in den nächsten Wochen massiver Druck auf Frauen und Minderheiten stattfinden. In Afghanistan leben über 40 Ethnien mit unterschiedlichster Kultur und Sprache, die sich oft auch feindlich gegenüberstehen. Die Taliban sind zwar eine „Glaubensgemeinschaft“, rekrutieren sich aber meist aus der größten Ethnie der Paschtunen. Gerade das Schicksal der Hazara macht mir große Sorgen, da diese Ethnie schon seit vielen Jahren unterdrückt wird.

Auch werden die Taliban ihren Kämpfern ihre Versprechungen einlösen müssen. Diese sind öffentliche Ämter, Ehefrauen und ein finanzielles Auskommen. Dies wird nicht ohne Gewalt gegen die Bevölkerung möglich sein.

Eine spannende Rolle nimmt nun China in der Region ein. China teilt sich eine Grenze mit Afghanistan und Afghanistan spielt gerade beim Projekt „neue Seidenstraße“ eine wichtige Rolle. Auch spielen die Rohstoffvorkommen, die in 40 Jahren Krieg bisher kaum ausgebeutet wurden, bis heute auch eine Rolle (große Vorräte an Metallen, Selten Erden und Erdgas). Zudem selbstverständlich auch die militärische und machtstrategische Rolle des Landes.

Als ich 2010 aus Afghanistan zurückkam, habe ich einige Vorträge über meine Zeit dort gehalten und mir wurde oft die Frage gestellt, wie in diesem Land Frieden herrschen kann. Meine Antwort war, dass es zum damaligen Zeitpunkt zwei Nationen gegeben hätte, die dort dauerhafte Stabilität hätten bringen können. Die eine war China durch die große geographische Nähe, die militärische Macht und die wenig komplizierte Vergangenheit mit Afghanistan.

Die zweite wäre damals Deutschland gewesen, da das Bild der Afghanen über Deutschland, gerade auch noch in dieser Zeit, äußerst positiv besetzt war. Dies ist begründet auf den langjährigen Verbindungen, die bis ins Kaiserreich zurückführen, sowie auf das besonders vorbildliche Verhalten der deutschen Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Die Amerikaner hatten damals schon durch ihr Auftreten sämtlichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Deutschland ist nun aus dem Spiel und so bleibt im Moment aus meiner Sicht nur noch China.

Ein Afghanistan, in dem die Taliban frei herrschen, das den Terroristen der Welt ein Rückzugsort bietet und dies über Opiumhandel und Ausbeutung von Ressourcen finanziert, möchte ich mir nicht vorstellen und es sollte klares internationales Ziel sein, dies zu unterbinden. Auch sollten wir eine Diskussion führen, wie wir uns verhalten, wenn dort in den nächsten Wochen und Monaten ein Genozid stattfindet und wie hier ein deutsches oder europäisches Handeln aussehen kann.

Zum Schluss möchte ich allen Soldat*innen, Polizist*innnen und Zivilen Helfer*innnen danken und meinen Respekt denen aussprechen, die dort unter schwierigsten Bedingungen ihren Dienst getan haben.

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